Als die Moral baden ging

Die Geschichte der Rheinbad-Anstalt Taegerweilen und Gottlieben

Im Mit­tel­al­ter, als der Bischof von Kon­stanz Gott­lie­ben grün­de­te, zog er die Gemein­de­gren­zen bewusst so eng, dass die Men­schen kei­ne Land­wirt­schaft betrei­ben konn­ten, son­dern vom See­rhein leben muss­ten: Han­deln und Fischen.
So sicher­te er sich sei­nen Fisch­zehn­ten und gefähr­de­te zugleich das Leben sei­ner Fischer. Denn damals konn­te kaum jemand schwim­men, auch die Fischer nicht. Schwim­men kön­nen war lan­ge eine Sen­sa­ti­on:
Noch um 1800 her­um gab es zum Bei­spiel in Städ­ten Schwimm­vor­füh­run­gen. Nach dem Bezah­len eines Ein­tritts­gel­des konn­ten die Küns­te eines Schwimm­leh­rers bewun­dert werden.

unbe­kann­ter Küns­ter ¦ 1898

So ging es bei den Bade­an­stal­ten, die ab 1850 immer häu­fi­ger am Boden­see gebaut wur­den, nicht in ers­ter Linie ums Schwim­men, son­dern ums Baden, um die Kör­per­hy­gie­ne. Denn noch um 1900 wie­sen die meis­ten Woh­nun­gen kei­ne Bade­zim­mer und auch kein flies­sen­des Was­ser auf. Immer mehr Men­schen leb­ten auf enge­rem Raum, pro­du­zier­ten immer höhe­re Abfall­ber­ge. Eine bes­se­re Hygie­ne war drin­gend nötig. Unter Hygie­ne ver­stand man nicht nur kör­per­li­che Rein­lich­keit, son­dern viel­mehr wur­de Hygie­ne zu einem mora­li­schen Begriff: Hygie­ne wur­de zum Inbe­griff für Sitt­lich­keit und mora­lisch ein­wand­frei­em Leben.

Rhein­bad-Anstalt ¦ 1926

1873 bau­te die Anony­me Acti­en­ge­sell­schaft Tae­ger­wei­len und Gott­lie­ben die Rhein­bad-Anstalt: Ein Kas­ten­bad, wie es typisch war: Über einen Steg vom Land aus zu errei­chen, E‑förmiger Grund­riss, zum Ufer hin geschlos­sen und abwei­send, strikt geschlech­ter­ge­trenn­te Ein­rich­tun­gen: Kabi­nen, Warm­bä­der­zel­len (Kabi­nen mit Bade­wan­nen und Öfen, um das Bade­was­ser zu erwär­men). Der Neu­bau wur­de mit 4’500 Fran­ken brand­ver­si­chert und noch im Som­mer 1873 in Betrieb genommen.

Auf­nah­me ca. 1930

Grund­sätz­lich ent­sprach der Grund­riss der Rhein­bad-Anstalt Tae­ger­wei­len Gott­lie­ben der pro­to­ty­pi­schen Skiz­ze, wie wir sie hier zei­gen. Aller­dings war die Anla­ge deut­lich klei­ner. Sie wies zum Bei­spiel ledig­lich zwei Wan­nen­bä­der auf: eines auf der Frauen‑, das ande­re auf der Her­ren­sei­te.
Mit einer Flü­gel­pum­pe wur­de Rhein­was­ser her­auf­ge­pumpt, in ein Kup­fer­be­cken gelei­tet, unter dem ein Feu­er brann­te, und so erwärmt. Von dort wur­de das war­me Was­ser mit einem gros­sen Schöpf­löf­fel in die Wan­nen gegossen.

Alte Gott­lie­ber und Gott­lie­be­rin­nen erin­nern sich heu­te noch, dass ihre Gross­el­tern vor Fei­er­ta­gen in der Rhein­bad-Anstalt ein Rei­ni­gungs­bad neh­men muss­ten.
Laut Kas­sa­be­richt aus dem Jahr 1881 ver­brauch­te man einen Ster Holz. Damit wur­de Warm­was­ser für 183 Bäder auf­ge­heizt. 1933 heiz­te man mit der glei­chen Men­ge Brenn­holz 105 Bäder. Das legt den Schluss nahe, dass 1881 die Was­ser­tem­pe­ra­tur in der Bade­wan­ne — sagen wir ein­mal — mäs­sig gewe­sen sein muss!

Wo die Rhein­bad-Anstalt lag:
öst­lich des Schlos­ses, auf der Kar­te links gut zu erken­nen;
in den 1930iger Jah­ren bau­te man das heu­te noch bestehen­de Zoll­boots­haus west­wärts (Kar­te rechts)

Aus­schnitt Lan­des­kar­te 1935
Aus­schnitt Lan­des­kar­te 1936
zum Boots­haus umfunk­tio­niert ¦ ca. 1950

1883, also ledig­lich zehn Jah­re nach der Grün­dung wur­de die Acti­en­ge­sell­schaft auf­ge­löst und die Anstalt den bei­den Orts­ge­mein­den Täger­wei­len und Gott­lie­ben geschenkt! Grund für die gross­zü­gi­ge Schen­kung: Die Rhein­bad-Anstalt war defi­zi­tär! 1881 wur­den noch sechs Abon­ne­men­te ver­kauft, 1922 war es gera­de noch eines. 1881 wur­den 183 Warm­bä­der auf­be­rei­tet, 1933 noch deren 105. 1881 wur­den 1’207 Ein­trit­te von Kin­dern ver­zeich­net, 1933 waren es noch 164.
Die Orts­ge­mein­den über­nah­men und stell­ten fest, dass auch sie das Ruder nicht her­um­reis­sen konn­ten. Als kos­ten­dämp­fen­de Mass­nah­me stell­te man aber bald auf rei­nen Som­mer­be­trieb um.

Das Strandbad läuft den Bad-Anstalten den Rang ab!

Die Attrak­ti­vi­tät der Bad-Anstal­ten hielt sich in Gren­zen. Der Besuch der Kas­ten­bä­der erfolg­te ja aus Grün­den der Rein­lich­keit. Sie boten den Gäs­ten kei­ne Bewe­gungs­frei­heit; hier waren weder Spiel, Spass noch Mus­se erwünscht. Die enge Bade­an­la­ge mach­te aus dem Bade­be­such kein Ver­gnü­gen, son­dern eine peri­odi­sche Ver­rich­tung, die man zu absol­vie­ren hat­te.
Mit der Zeit änder­ten sich aber die Bedürf­nis­se, da man auch zu Hau­se dank der Was­ser­an­schlüs­se die Mög­lich­keit bekam, Kör­per­pfle­ge zu betrei­ben. Dazu kam auch das Bedürf­nis nach Bewe­gung in der Natur, denn mit der Indus­tria­li­sie­rung ent­stan­den vie­le Arbeits­plät­ze, die weni­ger kör­per­li­chen Ein­satz in geschlos­se­nen, dunk­len, schlecht belüf­te­ten Räu­men verlangten.

Dar­um ging es nicht all­zu lan­ge, bis die alt­ehr­wür­di­ge Rhein­bad-Anstalt ver­kauft wur­de. 1933 kauf­ten Pri­va­te die Anla­ge für 500 Fran­ken. Die neu­en Besit­zer bau­ten das Gebäu­de um und nutz­ten es als Boots­haus, das bis 1968 bestehen blieb, obwohl die kan­to­na­le Benüt­zungs­kon­zes­si­on bereits 1965 abge­lau­fen war.

Kurio­ser­wei­se wur­de beim Rück­bau des Boots­hau­ses ver­ges­sen, das Weg­recht auf­zu­he­ben. Und so kommt es, dass die Par­zel­le 729 mit  41 Qua­drat­me­tern Flä­che immer noch den drei Besit­zer­fa­mi­li­en gehört. Damit haben sie direk­ten Zugang zum Seerhein!

Heu­te sind ledig­lich noch die abge­schnit­te­nen Pfäh­le öst­lich des Zoll­boots­hau­ses im seich­ten Was­ser zu sehen.

Im Vor­der­grund: abge­säg­te Stüt­zen der Rheinbad-Anstalt

Ein paar hun­dert Meter rhein­auf­wärts wur­de 1936 ein dama­lig moder­nes Strand­bad eröff­net. Zehn Jah­re frü­her — 1926 — war ein mög­li­ches Strand­bad Sujet beim tra­di­tio­nel­len Täger­wi­ler Fas­nachts­um­zug.  1928 for­der­ten Jung­bür­ger eine neu­zeit­li­che Bade­an­la­ge mit Bade­hüt­te als Strand‑, Luft und Sonnenbad.

Strand­bad ¦ 2003

Bru­no Sut­ter, Dezem­ber 2024

Quellen:
Eva Büchi:
Als die Moral baden ging
(2002 ¦ Buch leider vergriffen; auch der geniale Titel durfte freundlicherweise hier übernommen werden!)
Esther Bächer:
Gottlieben — Informationen zur Geschichte
(2001 ¦ Buch leider vergriffen)
Giger¦König¦Surber:
Tägerwilen — Ein Thurgauer Dorf im Wandel der Zeit
(1999 ¦ Buch bei der Gemeindeverwaltung noch erhältlich)
Anton Ellenbroek:
Mail vom 06.01.2025

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