Das Franzosenhaus

«Vive la France» oder «Vivent les petits Suisses»

Fran­zo­sen­haus im Sep­tem­ber 2023

Das 1766 von einer Fami­lie Mül­ler erbau­te Rie­gel­haus am All­mend­bach auf Höhe Pal­men­weg ist auch unter der Bezeich­nung «Fran­zo­sen­haus» bekannt. Die­sen Namen ver­dankt es den Trup­pen Napo­lé­ons, wel­che 1798 in die Schweiz ein­fie­len und zum Zusam­men­bruch der Alten Eid­ge­nos­sen­schaft führ­ten. Dann­zu­mal wur­den fran­zö­si­sche Trup­pen auch in Täger­wi­len und Gott­lie­ben ein­quar­tiert, u.a. im Rie­gel­haus am Palmenweg.

Spä­ter, im 19. Jahr­hun­dert, bewohn­ten drei Gene­ra­tio­nen der Fami­lie Dütsch das Rie­gel­haus am All­mend­bach. Sie lies­sen 1946 den Neu­hof in der Schra­gen­hurt ober­halb Täger­wi­len bau­en und bezo­gen die­sen im Früh­jahr 1947.
Jakob Dütsch-Hart­mann (1884–1983) berich­te­te im Fami­li­en­buch unter dem Titel
«Wei­te­re Bege­ben­hei­ten von unse­ren Vor­fah­ren». Dar­un­ter fin­det sich auch eine amü­san­te Epi­so­de aus schwe­ren Zeiten:

«Von den Ahnen wur­de wei­ters berich­tet, dass 1798 bei der fran­zö­si­schen Revo­lu­ti­on franz. Sol­da­ten im Rie­gel­haus am Bach ein­quar­tiert waren. Die­se sol­len sich äus­serst frech benom­men, Wein im Kel­ler geholt, Vieh geschlach­tet und diver­se Haus- und Zim­mer­ge­rä­te ange­eig­net haben. Auf Beschwer­den hin habe ein Schwei­zer Oberst den Rat erteilt, an einem Tag ein Zim­mer ganz herr­schaft­lich ein­zu­rich­ten, mit dem schöns­ten Besteck und Geschirr den Tisch zu decken und den Sol­da­ten zu sagen, heu­te Abend wür­den die Her­ren Offi­zie­re zum Essen kom­men. Dies sei gemacht wor­den und dar­auf­hin hät­ten die Sol­da­ten das Haus verlassen.»

Der ehe­ma­li­ge Dorf­füh­rer und Lokal­his­to­ri­ker Fritz Chris­ten (1939 — 2022) schil­der­te die glei­chen Umstän­de bei sei­nen Dorf­rund­gän­gen so:

«Das Rie­gel­haus am Bach war zur Fran­zo­sen­zeit das schöns­te und präch­tigs­te im gan­zen Dorf. Genau das rich­ti­ge also zur Ein­quar­tie­rung von Offi­zie­ren. Die Her­ren hät­ten sich aber der­mas­sen schlimm benom­men, dass der Haus­ei­gen­tü­mer, Josua Mül­ler, ganz weit oben in der fran­zö­si­schen Hee­res­lei­tung rekla­mier­te und tat­säch­lich durch­set­zen konn­te, dass die Her­ren das Haus ver­las­sen und im Zelt­la­ger der Mann­schaft oben in der Schra­gen­hurt Quar­tier neh­men mussten.»

Wel­che der bei­den Erzäh­lun­gen der Wahr­heit am nächs­ten kommt, ist nicht klar; aber eigent­lich auch nicht wirk­lich wich­tig. Bei­de Ver­sio­nen sagen im Grun­de das Gleiche:

Vivent les petits Suisses!

Fran­zo­sen­haus um 1980

Mül­ler führ­te anschlies­send die zurück­ge­las­se­nen mili­tä­ri­schen Requi­si­ten der Fran­zo­sen mit einem Och­sen­ge­spann nach Frau­en­feld. Der Mann hat­te poli­ti­sches Gewicht: Er war Täger­wi­ler Bur­ger­meis­ter und Mit­glied des Lan­des­co­mi­tés, das die Unab­hän­gig­keit des Kan­tons Thur­gau zum Ziel hatte.

Schü­ler­zeich­nung Rolf Seger um 1966

Spä­ter dien­te das gros­se Rie­gel­haus zwei Ver­ei­nen auch als Pro­be­lo­kal:
Ab 1893 fünf Musi­kan­ten aus Gott­lie­ben, wel­che bei Hein­rich Dütsch-Egloff die Blas­mu­sik erlern­ten, und ab 1902 waren es dann die Mit­glie­der des Musik­ver­eins Täger­wi­len, wel­che im Fran­zo­sen­haus ihrem Hob­by frön­ten.
Der Turn­ver­ein übte in den gros­sen hohen Kel­ler­räu­men, bis dann 1903 die neu gebau­te Turn­hal­le (Bür­ger­hal­le) bezo­gen wer­den konnte.

Viel­leicht ist Ihnen auch schon auf­ge­fal­len, dass die­ses gros­se statt­li­che Haus eine ziem­lich nie­de­re Ein­gangs­tü­re auf­weist? Klar, die Men­schen waren frü­her sicher klei­ner als heu­te, aber reicht das als Begrün­dung?
Wenn man das Haus betritt, fällt auf, dass Stu­fen auf Par­terre­ni­veau hin­un­terfüh­ren. War­um das? Fritz Chris­ten erklär­te das sei­ner­zeit so:

«Das Fran­zo­sen­haus wur­de eini­ge Male von Hoch­was­ser in Mit­lei­den­schaft gezo­gen. Weil man das für die Zukunft ver­hin­dern woll­te, hat man den Pal­men­weg vor dem Fran­zo­sen­haus kur­zer­hand um ca. 100 cm erhöht und so den Bach in sei­ne Schran­ken gewie­sen.»

Die Ursa­che ist in hef­ti­gen Nie­der­schlä­gen im Ein­zugs­ge­biet des All­mend­tobels zu suchen. 1876 über­flu­te­te eine gros­se Unwet­ter­ka­ta­stro­phe die Kel­ler­räu­me der­art, dass in der Fol­ge der bach­sei­ti­ge Hof­platz  einen Meter auf­ge­schüt­tet wur­de, und so der Bach ein für alle­mal in sei­ne Schran­ken gewie­sen wurde.

Dass man sich ab die­ser Mass­nah­me halt bücken muss­te, um das Haus zu betre­ten, nahm man ger­ne in Kauf!

Seit 1965 ist die Fami­lie Boss­hard im Besitz des Franzosenhauses.

Fran­zo­sen­haus | Post­kar­te 1959
Rolf Seger, Bruno Sutter ¦ November 2024

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