«Vive la France» oder «Vivent les petits Suisses»
Das 1766 von einer Familie Müller erbaute Riegelhaus am Allmendbach auf Höhe Palmenweg ist auch unter der Bezeichnung «Franzosenhaus» bekannt. Diesen Namen verdankt es den Truppen Napoléons, welche 1798 in die Schweiz einfielen und zum Zusammenbruch der Alten Eidgenossenschaft führten. Dannzumal wurden französische Truppen auch in Tägerwilen und Gottlieben einquartiert, u.a. im Riegelhaus am Palmenweg.
Später, im 19. Jahrhundert, bewohnten drei Generationen der Familie Dütsch das Riegelhaus am Allmendbach. Sie liessen 1946 den Neuhof in der Schragenhurt oberhalb Tägerwilen bauen und bezogen diesen im Frühjahr 1947.
Jakob Dütsch-Hartmann (1884–1983) berichtete im Familienbuch unter dem Titel «Weitere Begebenheiten von unseren Vorfahren». Darunter findet sich auch eine amüsante Episode aus schweren Zeiten:
«Von den Ahnen wurde weiters berichtet, dass 1798 bei der französischen Revolution franz. Soldaten im Riegelhaus am Bach einquartiert waren. Diese sollen sich äusserst frech benommen, Wein im Keller geholt, Vieh geschlachtet und diverse Haus- und Zimmergeräte angeeignet haben. Auf Beschwerden hin habe ein Schweizer Oberst den Rat erteilt, an einem Tag ein Zimmer ganz herrschaftlich einzurichten, mit dem schönsten Besteck und Geschirr den Tisch zu decken und den Soldaten zu sagen, heute Abend würden die Herren Offiziere zum Essen kommen. Dies sei gemacht worden und daraufhin hätten die Soldaten das Haus verlassen.»
Der ehemalige Dorfführer und Lokalhistoriker Fritz Christen (1939 — 2022) schilderte die gleichen Umstände bei seinen Dorfrundgängen so:
«Das Riegelhaus am Bach war zur Franzosenzeit das schönste und prächtigste im ganzen Dorf. Genau das richtige also zur Einquartierung von Offizieren. Die Herren hätten sich aber dermassen schlimm benommen, dass der Hauseigentümer, Josua Müller, ganz weit oben in der französischen Heeresleitung reklamierte und tatsächlich durchsetzen konnte, dass die Herren das Haus verlassen und im Zeltlager der Mannschaft oben in der Schragenhurt Quartier nehmen mussten.»
Welche der beiden Erzählungen der Wahrheit am nächsten kommt, ist nicht klar; aber eigentlich auch nicht wirklich wichtig. Beide Versionen sagen im Grunde das Gleiche:
Vivent les petits Suisses!
Müller führte anschliessend die zurückgelassenen militärischen Requisiten der Franzosen mit einem Ochsengespann nach Frauenfeld. Der Mann hatte politisches Gewicht: Er war Tägerwiler Burgermeister und Mitglied des Landescomités, das die Unabhängigkeit des Kantons Thurgau zum Ziel hatte.
Später diente das grosse Riegelhaus zwei Vereinen auch als Probelokal:
Ab 1893 fünf Musikanten aus Gottlieben, welche bei Heinrich Dütsch-Egloff die Blasmusik erlernten, und ab 1902 waren es dann die Mitglieder des Musikvereins Tägerwilen, welche im Franzosenhaus ihrem Hobby frönten.
Der Turnverein übte in den grossen hohen Kellerräumen, bis dann 1903 die neu gebaute Turnhalle (Bürgerhalle) bezogen werden konnte.
Vielleicht ist Ihnen auch schon aufgefallen, dass dieses grosse stattliche Haus eine ziemlich niedere Eingangstüre aufweist? Klar, die Menschen waren früher sicher kleiner als heute, aber reicht das als Begründung?
Wenn man das Haus betritt, fällt auf, dass Stufen auf Parterreniveau hinunterführen. Warum das? Fritz Christen erklärte das seinerzeit so:
«Das Franzosenhaus wurde einige Male von Hochwasser in Mitleidenschaft gezogen. Weil man das für die Zukunft verhindern wollte, hat man den Palmenweg vor dem Franzosenhaus kurzerhand um ca. 100 cm erhöht und so den Bach in seine Schranken gewiesen.»
Die Ursache ist in heftigen Niederschlägen im Einzugsgebiet des Allmendtobels zu suchen. 1876 überflutete eine grosse Unwetterkatastrophe die Kellerräume derart, dass in der Folge der bachseitige Hofplatz einen Meter aufgeschüttet wurde, und so der Bach ein für allemal in seine Schranken gewiesen wurde.
Dass man sich ab dieser Massnahme halt bücken musste, um das Haus zu betreten, nahm man gerne in Kauf!
Seit 1965 ist die Familie Bosshard im Besitz des Franzosenhauses.