Der Seerhein

Seerhein_Luftaufnahme mit Grafik
DER SEERHEIN — Blick nach Osten
DER SEERHEIN — von der KN-Brü­cke bis zum Chöpfli

Nüch­tern betrach­tet, ist der See­rhein nur das Ver­bin­dungs­stück zwi­schen dem Ober­see und dem Unter­see des Boden­sees.
Mit 4 Kilo­me­ter Län­ge ist er der kür­zes­te Abschnitt des 1‘233 km lan­gen Rheins. Er beginnt an der alten Kon­stan­zer Rhein­brü­cke, als Aus­fluss aus dem Kon­stan­zer Trich­ter, und endet dann beim Chöpf­li, auf der Höhe der Insel Tri­bol­tin­ger Bol, am Über­gang zum Erma­tin­ger Becken.
Dabei fliesst er zuerst inner­städ­tisch in Kon­stanz, bevor dann am Süd­ufer die Gemein­den Täger­wi­len und Gott­lie­ben fol­gen. Das Nord­ufer gehört mit dem Woll­ma­tin­ger Ried zur Gemein­de Reichenau.Seine Brei­te ist zwi­schen 100 und 500 Metern, sei­ne Tie­fe zwi­schen 7 und 25 Metern.
Der Was­ser­spie­gel des Unter­sees liegt 20 cm tie­fer als der­je­ni­ge des Ober­sees.
Der Name Rhein geht wahr­schein­lich auf die indo­ger­ma­ni­sche Wort­wur­zel „ereih“ für „flies­sen“ zurück. – Vor­germ. „Rei­nos“ (Fluss), gal­lisch „Renos“ und latei­nisch „Rhen­us“.

Da er Namens­ge­ber für unse­ren His­to­ri­schen Ver­ein ist, lohnt es sich, die ver­schie­de­nen Facet­ten des See­r­heins etwas genau­er zu betrachten.

Entstehung von Rhein und Seerhein

Das Eis­zeit­al­ter umfasst die letz­ten rund zwei Mil­lio­nen Jah­re. In die­ser Peri­ode kam es zu min­des­tens 15 Glet­scher­vor­stös­sen bzw. Eis­zei­ten (neu Kalt­zei­ten genannt) und Zwi­schen-Eis­zei­ten (neu Warm­zei­ten).
In Erin­ne­rung geblie­ben sind die letz­ten vier Eis­zei­ten: Günz, Min­del, Riss und Würm.

Noch vor Beginn der Günz-Eis­zeit kam es durch eine Sen­kung im heu­ti­gen Boden­see­ge­biet zu einer Umlei­tung des Ur-Rheins vom Weg zur Donau in Rich­tung Ober­rhei­ni­sche Tiefebene.

Vor rund 600‘000 Jah­ren began­nen dann die letz­ten 4 Eis­zei­ten.
Der längs­te und gröss­te Vor­stoss erfolg­te in der Riss-Eis­zeit. Die­ser Glet­scher schürf­te das Boden­see­be­cken bis auf die heu­ti­ge Tie­fe aus.
In der nächs­ten Warm­zeit blieb ein gros­ser See zurück, der Ur-Boden­see. Der dama­li­ge Rhein floss von Radolfs­zell über den süd­li­chen Hegau nach Schaffhausen.

Wäh­rend der letz­ten Eis­zeit, der Würm-Eis­zeit, wur­de dann der gan­ze Boden­see wie­der ver­glet­schert – 300 m dick war die Eis­schicht über unse­rer Regi­on vor 16‘000 Jah­ren.
Auf dem Rück­zug hin­ter­liess der Glet­scher Morä­nen (Glet­scher­ge­röll) – so ent­stand u.a. bei Kon­stanz eine Endmoräne.

Nach dem Ende der Würm-Eis­zeit lag der Boden­see­spie­gel 405 m über Meer bzw. 10 Meter höher als heu­te. Durch die Tief­en­er­o­si­on des Hoch­rheins kam es dann zur Absen­kung des Sees auf etwa 395 m ü. M.
Dadurch fiel der See­teil zwi­schen dem Ober­see und dem Unter­see tro­cken. Der See­rhein ent­stand nun als Ver­bin­dung zwi­schen Ober­see und Untersee.

Als Fol­ge muss­te sich der Rhein bei der Morä­nen-Sper­re in Kon­stanz — im Bereich der alten Rhein­brü­cke — durch­fres­sen und dabei ent­stand dann um ca. 9650 v.Chr. der See­rhein.

Der See­rhein durch­strömt eine tal­ar­ti­ge Nie­de­rung, wel­che Kon­stan­zer Nie­de­rung oder auf Schwei­zer Sei­te See­tal bezeich­net wird. – Die­se Nie­de­rung wird im Süden durch den See­rü­cken und im Nor­den durch den Bodan­rü­cken begrenzt.

Brei­tes­te Stel­le — Blick Rich­tung West — rechts Blei­che, links (nicht im Bild) Ziegelhof

Besiedelung

Aus prä­his­to­ri­scher Zeit stam­men Feu­er­stein­fun­de (Mit­tel­stein­zeit: 9500–5500 BC, Unter­füh­rung ARA-Stras­se), Stein­bei­le (Jung­stein­zeit, 5500–2200 BC, Gott­lie­ber­wie­se), Töpf­chen (Schnur­ke­ra­mik, 2800–2200 BC, Rhein­schlick ober­halb Schloss), Ein­baum (2400–2200 BC, vor Tri­bol­tin­ger Bol) und kel­ti­sche Mün­zen (750 – 0 BC, im Tägermoos).

In Kon­stanz bestand eine kel­ti­sche Sied­lung (1. Jahr­hun­dert BC), eine römi­sche Sied­lung (1. Jh) und ein römi­sches Kas­tell (250–400, auf dem Münsterhügel).

Ab dem 6. Jahr­hun­dert erfolg­te die Besie­de­lung durch die Ala­man­nen.

Die ers­te Rhein­brü­cke wur­de in Kon­stanz um 1200 gebaut.

Hochwasser, Seegfrörnen, Wasserwunder von Konstanz

Hoch­was­ser und Seegfrör­ni gehö­ren für die See­an­woh­ner seit Men­schen­ge­den­ken zu den belas­ten­den und sich ein­prä­gen­den Natur­er­eig­nis­sen.
Seit dem Jah­re 875 war der Boden­see 33 Mal zuge­fro­ren. Im 15. und 16. Jahr­hun­dert kam es sogar zu je 7 Seegfrör­nen bin­nen 100 Jah­ren. Das vor­letz­te Mal gab es 1880 eine Seegfrör­ni und die letz­te Seegfrör­ni fand 1963 statt.

Bei Esther Bächer fin­det sich ein inter­es­san­ter Pro­to­koll­aus­zug vom 7. Febru­ar 1963 des Gemein­de­ra­tes Gott­lie­ben: „Ver­bot über das Betre­ten des zuge­fro­re­nen Rheins. Kal­tes Win­ter­wet­ter seit über 60 Tagen in ganz Euro­pa ( — 5° bis — 12° tags­über und — 10° bis — 22° nachts) lies­sen den Unter­see, den Ober­see und den Rhein bei Gott­lie­ben gänz­lich zufrie­ren. Der Unter­see hat seit Wochen eine trag­fä­hi­ge Eis­schicht. Der Rhein bei Gott­lie­ben ist hin­ge­gen erst seit eini­gen Tagen von ober­halb der Gott­lie­ber Fachen bis zum Kuh­horn zuge­fro­ren.“

Viel häu­fi­ger sind und waren die Hoch­was­ser am Unter­see und See­rhein.
Zwi­schen 1800 und 1900 kam es zu mehr als 20 Hoch­was­ser am Boden­see. Seit 1932 waren es 21 Hoch­was­ser. Das letz­te schwe­re Hoch­was­ser fand 1999 statt. Dann­zu­mal war der Höchst­stand des Pegels bei Kon­stanz auf 5,65 m.

Noch viel schlim­mer muss es aber im Jah­re 1817 gewe­sen sein. Ursa­che war pri­mär der Vul­kan­aus­bruch des Tam­bo­ra auf Indo­ne­si­en im Jah­re 1815. Die­ser führ­te dann 1816 in Euro­pa zu einem „Jahr ohne Som­mer“. Dann­zu­mal schnei­te es sogar im Juli bis ins Flach­land.
Im Jahr 1817 kam es einer­seits zu einer dop­pel­ten Schnee­schmel­ze (Win­ter 1815/16 und 1816/17) und ande­rer­seits reg­ne­te es im Früh­jahr 1817 unun­ter­bro­chen. Dies waren die Grund­la­gen für das schwers­te, bis­her doku­men­tier­ten Hoch­was­ser. Bei Esther Bächer steht dazu: „In Gott­lie­ben stand das Was­ser 1,5 m hoch in den Stras­sen“. Und bei Giger, König, Sur­ber: „Stand das Was­ser sechs Schuh hoch (1,8 m) über dem Täger­moos, sodass der Ver­kehr zwi­schen Gottlieben/Tägerwilen und Kon­stanz mit Schif­fen bewäl­tigt wur­de.“ – Der Pegel bei Kon­stanz stand bei 6,36 m bzw. 71 cm über dem Ereig­nis von 1999!

Und von einem beson­de­ren Natur­phä­no­men ist noch zu berich­ten – dem soge­nann­ten „Was­ser­wun­der von Kon­stanz“, wel­ches sich am 23. Febru­ar 1549 ereig­ne­te. Der See­rhein hob und senk­te sich über meh­re­re Stun­den in Abstän­den von etwa ¼ Stun­de um eine Elle (> 50 cm). Gemäss Fischern im Unter­see floss das Was­ser des Rheins rück­wärts.
Heu­te kann man das Phä­no­men erklä­ren: es han­del­te sich um eine „Sei­che“ bzw. eine ste­hen­de Wel­le. Bestimm­te Wind­ver­hält­nis­se reg­ten die Eigen­schwin­gun­gen des Ober- und Unter­sees an. Dabei ent­steht die ste­hen­de Wel­le als Sum­me zwei­er sich ver­stär­ken­der Wel­len, die in ent­ge­gen­ge­setz­te Rich­tung ver­lau­fen (zum Ufer und vom Ufer).

See­r­hein­ba­di Täger­wi­len — Blick Rich­tung Nord-West

Wasserstrasse und Fischerei

Brei­tes­te Stel­le — Blick Rich­tung Chuehorn

Der See­rhein als Was­ser­stras­se
Dank der Ber­gung eines mehr als 4000 Jah­re alten Ein­baums am SW-Ende der Insel „Tri­bol­tin­ger Bol“ im April 2021 wis­sen wir es nun genau. Der See­rhein wur­de schon zwi­schen 2‘400 und 2‘200 vor Chris­tus von Men­schen als Was­ser­stras­se benutzt.

Im Mit­tel­al­ter und bis zu Beginn des 20. Jahr­hun­derts wur­den Güter (u.a. Salz, Kies) mit Lädi­nen auf dem Boden­see trans­por­tiert. So wur­de Salz aus Hal­le im Tirol auf dem Land­weg bis an den Boden­see gebracht, wo es dann auf Last­schif­fe umge­la­den und u.a. bis nach Gott­lie­ben (Salz­sta­del vor dem Waag­haus) und Schaff­hau­sen wei­ter­trans­por­tiert wurde.

Seit Mit­te des 19. Jahr­hun­derts ver­kehr­ten Dampf­schif­fe auf dem See­rhein und Unter­see. In den 60 er Jah­ren des 20. Jahr­hun­derts wur­de der letz­te Rad­schau­fel­damp­fer, die „Schaff­hau­sen“ ver­schrot­tet.
Die jet­zi­ge URh-Flot­te besteht aus 6 Schif­fen, wovon deren 4 im All­tags­be­trieb ein­ge­setzt wer­den: MS Schaff­hau­sen, MS Thur­gau, MS Are­nen­berg und MS Munot.
Die MS Stein am Rhein kommt für Son­der­fahr­ten zum Ein­satz und die MS Kon­stanz wur­de zu einem Schiff-Hotel umgebaut.

Die Fische­rei am und auf dem See­rhein
Die Fische­rei auf dem See­rhein geht auf den Bischof von Kon­stanz zurück.
Bischof Erb­er­hard II kauf­te 1251 das „veld“ Gott­lie­ben und liess dar­auf eine Was­ser­burg sowie eine Brü­cke über den Rhein bau­en. – Den Gott­lie­bern ver­bot er jeg­li­chen Grund­be­sitz, weil er woll­te, dass sie sich aus­schliess­lich dem Fisch­fang widmeten.

In der Gott­lie­ber Off­nung von 1521 wur­de das aus­schliess­li­che Recht der Gott­lie­ber für den Fisch­fang auf dem See­rhein fest­ge­hal­ten. – Eben­so wur­den die jähr­li­chen Steu­ern an den Lehens­herrn in Form von Fischen ver­an­kert: „ally Jar ze Gott­lie­ben drü zehen tus­sent Gang­fisch jähr­li­ches geltz … min­der ains hal­ben hun­dertz“ = 12‘950 Gang­fi­sche. Die­se Steu­er wur­de über die Jah­re redu­ziert – so betrug sie im Jah­re 1603 noch 4‘000 Gangfische.

Es gab 3 Grup­pen von Fischern in Gott­lie­ben.
Ers­tens die Segi-Fischer (6 an der Zahl), wel­che im Win­ter mit einem gros­sen Schiff und einem Netz von 20 x 60 Meter den See­rhein mehr oder weni­ger leer fisch­ten.
Zwei­tens die Fachen­fi­scher (Mehr­zahl), wel­che in den Fachen unter­halb Gott­lie­bens Reu­sen setz­ten.
Und drit­tens die Dorf­gra­ben-Fischer (weni­ge), wel­che in den Dorf­bä­chen fischen durf­ten.
Die Fachen­fi­sche­rei ende­te 1957; der letz­te Berufs­fi­scher ging 1999 in Pension.

Heu­te sind es vor allem die Fischer des Ver­eins „See­r­hein­fi­scher Täger­wi­len“, wel­che noch am oder auf dem See­rhein fischen.
Seit 2017 wur­den im Herbst jeweils vie­le Kret­zer (Barsch, Egli) gefan­gen. Ver­ein­zelt wer­den auch Hech­te angelandet.

Blick auf Gott­lie­ben — Rich­tung Süd-West

Der Seerhein als Grenze oder „alemannischer Bosporus“

Zwi­schen alter Rhein­brü­cke und dem Para­dies liegt der See­rhein aus­schliess­lich auf deut­schem Gebiet.
Von der Mün­dung des Grenz­bachs geht die Lan­des­gren­ze hin­aus zur Mit­te des See­r­heins, wo sie dann bis zu des­sen Ende auf Höhe „Tri­bol­tin­ger Bol“ bzw „Chöpf­li“ verharrt.

Mit der Erobe­rung des Thur­gau 1460 und dem Ende des Schwa­ben­kriegs 1499 wur­de der See­rhein dann zur Nord­gren­ze der alten Eid­ge­nos­sen­schaft, wobei die süd­rhei­nisch gele­ge­ne Stadt Kon­stanz wei­ter­hin zum deut­schen Reich gehörte.

In einem Arti­kel im „Tag­blatt“ berich­te­te Chef­re­dak­tor David Angst am 25. Mai 2019 von einer spe­zi­el­len Beob­ach­tung, wel­che er auf dem Aus­sichts­hü­gel Hoch­wart auf der Insel Rei­chen­au gemacht hat­te. Ein Rei­se­car brach­te eine Grup­pe von Tou­ris­ten aus Ost­deutsch­land auf die Insel, wel­che dann den Hügel bestie­gen. Beim Blick über Unter­see und See­rhein sag­te der ein­hei­mi­sche Rei­se­füh­rer: „Sie ste­hen hier am ale­man­ni­schen Bos­po­rus. Die Dör­fer dort drü­ben gehö­ren zu Schweiz. Stel­len Sie sich vor: Dort kann jede Gemein­de sel­ber bestim­men, was sie mit ihren Steu­er­ein­nah­men macht !“

Nord- und Süd­ufer
Am Süd­ufer lie­gen die Kon­stan­zer Alt­stadt flan­kiert von Rhein­tor­turm und Pul­ver­turm, gefolgt von der Fahr­rad­brü­cke (1991) und dem heu­ti­gen Stadt­teil Para­dies mit der Schänz­le-Sport­hal­le (2003).
West­lich des Grenz­bachs beginnt das Täger­moos mit dem Zie­gel­hof, dem Kuh­horn und dem See­r­hein­bad Täger­wi­len (2011). Es fol­gen das Schloss und das Dorf Gott­lie­ben. Das Ende des See­r­heins ist auf Höhe des „Chöpf­li“.

Das Nord­ufer beginnt mit dem Stadt­teil Peters­hau­sen-West, dem Rhein­strand­bad und dem neu­en Boden­see-Forum (2015). West­lich der neu­en Rhein­brü­cke, genannt „Schänz­le­brü­cke“ (1980 gebaut, 2007 voll ange­schlos­sen), beginnt das Stro­mey­ers­dorf mit Was­ser­turm. Das angren­zen­de Woll­ma­tin­ger­ried besteht ent­lang dem See­rhein aus der Flur „Zug­wie­sen“ und „Züge“, wel­che zur Rei­chen­au gehö­ren. Den Abschluss bil­det die Insel „Tri­bol­tin­ger Bol“, vis-à-vis des „Chöpf­li“.

Blick vom Zie­gel­hof Rich­tung Nord
Quellen
- Giger, König und Surber, 1999: „Tägerwilen – Ein Thurgauer Dorf im Wandel der Zeit”
- Bächer Esther, 2001: „Gottlieben – Informationen zur Geschichte“
- Historisches Lexikon der Schweiz, 2010 – Chr. Schlüchter
- Wikipedia: Seerhein, Rhein
- Philipp Zieger, Südkurier vom 8.3.17
- David Angst, Tagblatt 25.5.19

Rolf Seger, Juli 2021

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