Gasthaus zur Linde.

Wo eine Kir­che, da ein Gasthaus.

Gilt die­se Grund­for­mel des Dorf­le­bens, dann muss das Gast­haus zur Lin­de. ein uraltes sein.

Und das ist es tatsächlich.

Seit alters­her steht auf die­sem Platz, am Fuss des Kir­chen­hü­gels, ein Gast­haus.
Das ers­te erhal­te­ne Doku­ment stammt aus dem Jahr 1644. Damals stell­te der Bischof von Kon­stanz (Johan­nes Con­stanz Graf Truch­sess von Wald­burg-Wol­fegg) dem 1641 neu erbau­ten Haus zum Gol­de­nen Löwen das Taver­nen­recht aus.

Was hat jetzt der Gol­de­ne Löwe mit dem Gast­haus zur Lin­de. zu tun?
Das ist eine kur­li­ge Geschichte:

Ursprüng­lich hat man die Lin­de tat­säch­lich als Löwen, auch Gol­de­ner Löwen, gekannt.

Das ist nach­voll­zieh­bar, denn Gast­stät­ten, vor allem in der Nähe von Kir­chen, erhiel­ten vor eini­gen Jahr­hun­der­ten ger­ne einen Namen, der Bezug zur Kir­che hat­te.
So waren die Attri­bu­te der Evan­ge­lis­ten als Namen von Gast­stät­ten sehr beliebt:
Engel (Mat­thä­us), Löwen (Mar­kus), Och­sen (Lukas) und Adler (Johan­nes).

Als im 19. Jahr­hun­dert an der neu­en Haupt­stras­se, am jet­zi­gen Stand­ort der Thur­gau­er Kan­to­nal­bank, gebaut wur­de, gab man der neu­en Wirt­schaft kurio­ser­wei­se den Namen Löwen. Jetzt gab es – an der glei­chen Stras­se, in Ruf- und Sicht­di­stanz – zwei Wirts­häu­ser mit dem glei­chen Namen.
Alter Löwen? — Neu­er Löwen? – Gol­de­ner Löwen?
Ver­wir­rung war an der Tages­ord­nung. Des­halb beschlos­sen die Besit­zer des alten Löwen, ihre Wirt­schaft umzu­be­nen­nen. Weil in der Nach­bar­schaft eine herr­li­che Lin­de stand, war ein neu­er Name schnell gefunden:

GASTHAUS ZUR LINDE.

Wobei der Punkt durchaus als letzter stiller Protest zu interpretieren sein könnte.

Auch das ‘Gast­haus zur Lin­de.’ war wei­ter­hin ein bedeu­ten­der Treff­punkt im Dorf. Die Schüt­zen ver­kehr­ten hier, es wur­den Bür­ger­ver­samm­lun­gen abge­hal­ten und der Gemein­de­rat tag­te im Haus.

Dem Gebäu­de wur­de Sor­ge getra­gen, und es wur­de immer wie­der reno­viert, an- und umge­baut. 1897/98 wur­de der Saal ange­baut und eine frei­ste­hen­de Kegel­bahn errich­tet. Auf dem Platz auf der West­sei­te stand lan­ge ein klei­nes Häus­chen, das ein Coif­feur­ge­schäft beher­berg­te. Das Häus­chen wur­de in den frü­hen 1930iger Jah­ren abge­bro­chen, und der Coif­feur bot sei­ne Diens­te im ‘Gast­haus zur Lin­de.’ wei­ter­hin an.

Bis Mit­te des 19. Jahr­hun­derts reich­te das Ein­kom­men der Gast­stät­te nicht, um den Lebens­un­ter­halt bestrei­ten zu kön­nen. Es wur­de auch noch Land­wirt­schaft und Haus­we­be­rei betrieben.

In den letz­ten Jah­ren vor dem Ers­ten Welt­krieg ver­brach­te Fer­di­nand Graf von Zep­pe­lin regel­mäs­sig eini­ge Feri­en­ta­ge im Schlöss­chen Girs­berg. Sei­nen obli­ga­ten Früh­schop­pen geneh­mig­te er sich jeweils nach einem aus­ge­dehn­ten Spa­zier­gang im ‘Gast­haus zur Lin­de.’.
Julia, die Toch­ter des dama­li­gen Wirts Mei­er, erin­nert sich: «Ein schlan­ker, mit­tel­gros­ser, gut­ge­klei­de­ter, vor­neh­mer Herr mit weis­sem Schnauz. Die Kin­der bestaun­ten den bekann­ten Luft­schiff­bau­er ver­ständ­li­cher­wei­se mit unver­hoh­le­ner Bewun­de­rung und Neu­gier­de und platz­ten schier vor Stolz, wenn er sich kurz mit ihnen unter­hielt. Nein, ein hoch­nä­si­ger, kal­ter, unnah­ba­rer Aris­to­krat war der Graf nicht. Mit sei­ner ech­ten Freund­lich­keit gewann er über­all und immer die Her­zen sowohl der Kin­der wie der Erwachsenen.»

In den letz­ten 230 Jah­ren haben die­se Men­schen im Gast­haus zur Lin­de. gelebt, gewerkt, gewirtet:

1795 — 1837Joh. Con­rad Kreidolf-Wyler, Wirt und Weber
1837 — 1841Wit­we Marie Kreidolf-Wyler
1841 — 1878Jakob Kreidolf-Appen­zel­ler, Gemeinderat
1878 — 1892Wit­we Anna Kreidolf-Appenzeller
1892 — 1910Johann Josef Fisch­bach, Wirt und Schreiner
1910 — 1915Hein­rich Jakob Mei­er-Men­net, Wirt
1915 — 1927Wit­we Liset­te Meier-Mennet
1927 — 1928Jakob Guy­er, Wirt
1928 — 1929Jakob Stras­ser, Wirt
1929 — 1940Rosi­na Früh
1941 — 1967Paul Span-König
1967 — 1976Emil Wirth-Leber
1976 — 2007Hans­pe­ter und Eli­sa­beth Jucker-Wirth
2007 — 2025Tho­mas und Karin Jucker-Kyburz

Als 1967 Emil Wirth-Leber die Wirt­schaft über­nahm, moder­ni­sier­te er die Gast­stu­be. Sei­ne Toch­ter, Eli­sa­beth, sorg­te dafür, dass das Fami­li­en­un­ter­neh­men wei­ter­ge­führt wer­den konn­te.
Zusam­men mit ihrem Mann, Hans­pe­ter, führ­te das Ehe­paar ab 1976 ein­und­dreis­sig Jah­re lang das ‘Gast­haus zur Lin­de.’ mit gros­sem Enga­ge­ment und noch mehr Herzblut.

Tho­mas und Karin Jucker-Kyburz unter­stütz­ten ihre Eltern bzw. Schwie­ger­el­tern ab dem Jahr 2002 in Küche, Ser­vice und Admi­nis­tra­ti­on. 2007 erwar­ben sie die Lie­gen­schaft samt Geschäft.
2009 folg­te die erst umfas­sen­de Reno­va­ti­on der Gast­stu­be.
Bald stell­te man fest, dass die ein­fa­chen Gäs­te­zim­mer ohne WC und Bad nicht mehr der Zeit und den Bedürf­nis­sen der Gäs­te ent­spra­chen. Dar­um wur­de 2014 der alte Saal abge­ris­sen und – unter stren­ger Auf­sicht der Denk­mal­pfle­ge – ein neu­er moder­ner Hotel­trakt ange­baut.
Das neue JUCKERs Bou­tique-Hotel beher­berg­te 15 Hotel­zim­mer und Sui­ten, eine Hotel­bar und mul­ti­funk­tio­na­le Semi­nar- und Ban­ketträu­me.
Bald waren Hotel und  Restau­rant weit über die Kan­tons­gren­zen bekannt und erhiel­ten zahl­rei­che Aus­zeich­nun­gen aus der Hotel- und Gastrobranche.

Der Hand­wech­sel wäh­rend der letz­ten Umbau­pha­se mach­te den fol­gen­den Schritt zumin­dest teil­wei­se ein­fa­cher:  Aus Man­gel einer Nach­fol­ge­reg­lung aus der Fami­lie und aus per­sön­li­chen Grün­den ent­schie­den sich Tho­mas und Karin Jucker, Hotel und Restau­rant zu schlies­sen, um sich so neue Wir­kungs­krei­se zu eröffnen.

Am Sams­tag, 22. März 2025 wur­de
JUCKERs Bou­tique-Hotel und Restau­rant
für immer geschlossen.

Seit Sams­tag, 22. März 2025 steht das Gebäu­de nun also leer, und die gan­ze Dorf­ge­mein­schaft hofft, dass im tra­di­ti­ons­rei­chen Haus bald wie­der gewir­tet wird und dass die jahr­hun­der­te­al­te Gast­stät­te der Nach­welt als sol­che erhal­ten bleibt.

Okto­ber 2025 ¦ Bru­no Sutter

Quellen:
  • Bär / Historischer Verein am Seerhein: TÄGERWILEN — Ein Blick in die Vergangenheit
  • Karin Jucker-Kyburz

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